Faktencheck Alice Weidel
Fr. Weidel war bei Miosga. Hier gibt es einen Faktencheck zu einigen Aussagen
Als Ergänzung zum ARD Faktencheck, sind mir noch einige Dinge aufgefallen.
Europa und die Bürokratie
Die Vorteile des Binnenmarkts behalten und die EU Bürokratie dafür abschaffen? Auch Robin Alexander macht hier leider einen gerne gemachten Fehler: Der EU Binnenmarkt ist nicht gleichzusetzen mit Handelsabkommen zwischen 27 Staaten! (Bundesregierung) Der bloße Verzicht auf Zölle und Grenzkontrollen, was in einem Handelsabkommen geregelt werden kann, ersetzt den Binnenmarkt nicht. Denn der Binnenmarkt ist ein Wirtschaftsraum von 30+1 Staaten, der über die EU entsprechend reguliert wird und für freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital sorgt. Einheitliche Qualitätsstandards und Regeln sorgen erst für die Vorteile, die Deutschland so erfolgreich macht. Diese Regulierungen kommen zwangsläufig mit einem gewissen Maß an Bürokratie einher. Einen Austritt aus diesen Regeln, aus "der Bürokratie" bei gleichzeitigem beibehalten des Binnenmarktes ist ein Widerspruch. Bürokratie weg -> Binnenmarkt weg -> Deutschlands Vorteile weg. Das hat nichts mit der Tatsache zu tun, die zum Teil überdrüssig gewordene Bürokratie einzudämmen und Effizienz zu fördern, da sind sich alle einig. Dennoch bedeutet ein Ausstieg aus "der Bürokratie" ("(…)Supranationales Recht nicht mehr nationales Recht bricht") an dieser Stelle ein Ausstieg aus dem Binnenmarkt. (Artikel zu häufiger EU-Kritik hier) Die Schweiz als tolles Beispiel anzuführen ist dabei auch schwach, denn sie muss sich über bilaterale Abkommen ebenso an die Regulatorik halten - sofern sie an den jeweiligen Stellen den Zugang behalten möchte - kann sie aber nicht direkt mitbestimmen. Selbst wenn die AfD nun den Austritt Deutschlands aus der EU verwässert umformuliert hat, bedeutet die Bestrebung immer noch ein Ausstieg aus dem Binnenmarkt und hat daher eine schwerwiegende Bedeutung, auch wenn als Begründung die Abkehr aus Klimaschutzpolitik angeführt wird.
Euro ist inflationär und Souveränität fehlt
Der Euro wird gerne als inflationäre Währung bezeichnet. Fr. Weidel wiederholt das auch in dieser Sendung. Das ist faktisch nicht richtig, denn inflationär ist die Wirtschaft und jede andere Währung wäre es somit auch.
D-Mark (1950–2001): Ø 2,6 % pro Jahr
Eurozone (1999–2023): Ø 2,0–2,5 %, die Euro-Rate lag vor der jüngsten Inflationswelle ab 2021 im Schnitt unter 2 %
Dabei haben die jüngeren Ursachen der "Inflation", auf die hier angespielt wird, nichts mit der Währung an sich zu tun. (Artikel dazu hier) Die tendenziell restriktivere Geldpolitik ("Geldmenge gering halten") der Bundesbank während der D-Mark ist für ein Vergleich nicht passend, denn in dieser Zeit war der Monetarismus ("Inflation mit Geldmenge regeln") noch das vorherrschende Prinzip und die Wirtschaftsstruktur war anders. Früher waren Unternehmen eher Nettoschuldner, da sie mehr Investitionen über Kredite finanzierten. Heute sind viele große Unternehmen Nettosparer, da sie durch hohe Gewinne weniger Fremdkapital benötigen (FNE). Dies beeinflusst die Geldpolitik, da eine expansive Geldpolitik (niedrige Zinsen) heute anders wirkt als früher. Äpfel mit Birnen…
Die Tatsache, dass die EZB eine souveräne Einrichtung ist, die mit eigenen Zielen eine unabhängige Geldpolitik verfolgt, wäre auch mit einer D-Mark nicht anders. Die Tatsache, dass die EZB die Geldpolitik für alle Staaten mit individuellen konjunkturellen Bedürfnissen und Inflationsraten macht, ist eine in der Ökonomie hingegen geteilte Problematik (Bundesbank). Das alleine macht jedoch die Gesamtkritik nicht wahrer. Den Euro zu kritisieren, weil sich die Art der Geldpolitik in der Zeit weiter entwickelt hat, weg vom Monetarismus, ist unpassend. Auch ist die expansive Geldpolitik der letzten Jahre nicht inflationär gewesen. (In diesem Artikel habe ich Studien verlinkt, die darauf hinweisen, dass die "Quantitative Easing" Geldausweitung keinen sichtbaren Einfluss auf die Inflationsrate hatte) Und auch der Wechselkurs des Euros wird von Handelsbilanzen, Konjunktur und Zinsunterschieden beeinflusst – eine besonders regulierte Währungsunion spielt dabei höchstens eine indirekte Rolle. Nebenbei ist auch die Abwertung kein Problem für Deutschland als Exportnation. (Mehr dazu in diesem Artikel) Die reine Spekulation, dass der Euro scheitern wird und dass Deutschland am meisten drunter leiden wird, lasse ich an dieser Stelle als Meinung unkommentiert.
Target 2 Salden
"Das, was wir in den Targetsalden drin haben als Hauptgläubiger, das ist unser Wohlstand." Falsch. Diese Salden sind lediglich eine bilanzielle Erfassung von Zahlungsströmen innerhalb des Eurosystems. Sie zeigen keine Schuldbeziehungen.
Viele Menschen stellen sich die Target-2-Salden wie eine Ehe vor:
Die Ehefrau verdient mehr als der Mann und gleicht das finanzielle Ungleichgewicht aus, indem sie ihm regelmäßig Geld gibt.
Kommt es zur Scheidung, entsteht Streit, weil die Frau über Jahre hinweg Geld an den Mann gezahlt hat und es nun zurückfordern könnte.
Dies suggeriert eine Schuld des Mannes gegenüber der Frau.
Doch dieses Bild ist von Grund auf falsch.
Eine passendere Metapher wäre, dass die Frau und der Mann zwei Unternehmen sind:
Die Frau kauft regelmäßig Produkte vom Mann und zahlt ihm dafür Geld.
Der Mann liefert die Waren und erhält das Geld als Gegenleistung.
Beide Unternehmen haben Konten bei der gleichen Bank:
Vom Konto der Frau wird ständig Geld abgebucht.
Beim Mann geht ständig Geld ein.
Betrachtet man nur die Konten, scheint es, als hätte die Frau viel weniger Geld und der Mann viel mehr Geld.
Es besteht keine Schuld, denn der Geldfluss entspricht genau den gelieferten Waren. (In der Wirklichkeit sind auch andere Geldströme, wie Kapitalverschiebungen von einem Land ins andere erfasst, ist aber für die Bedeutung der Salden unerheblich). Der Mann ist in dieser Metapher Deutschland mit seinem Exportüberschuss. Die Frau ist in dieser Metapher zum Beispiel Italien. Bei einem theoretischen Austritt Italiens aus der EU ist rechtlich nicht geregelt, wie die Target 2 Salden in so einem Fall behandelt werden. Diese rechtliche Lücke wird von einigen zu einer missverständlichen Schuldforderung umgedeutet. Das häufig geäußerte Missverständnis, dass Deutschland "Milliarden verlieren könnte", beruht also auf einer falschen Interpretation dieser Buchungen (KfW).
Windenergiepreis
Fr. Weidel stellt die Angaben aus der Studie des Fraunhofer Instituts in Frage, aufgrund fehlender Subventionen in der Berechnung der Erzeugerpreise. Sowohl bei Windenergie als auch bei Kernenergie beeinflussen Subventionen und staatliche Unterstützungen die ausgewiesenen Stromgestehungskosten. Die genaue Berücksichtigung dieser Faktoren variiert je nach Studie und Methodik. Für eine fundierte Debatte wäre es daher entscheidend, die zugrunde liegenden Annahmen und Berechnungsmethoden der jeweiligen Studien parat zu haben. Das alles würde die Debatte zu einer garantierten Wissenschaft machen. Fr. Weidel weiß das und ihre Aussage soll vor allem zwei Dinge bewirken: 1. Die Quelle in Frage stellen und 2. Ablenken von der Tatsache, dass Kernenergie in der Erzeugung teurer ist, als Windenergie (ISE). Hier hätte auf die Aussage "Die Investitionsrechnung ist falsch, weil die Subventionen da mit drin sind." ein einfacher Hinweis folgen können, dass staatliche Subventionen ebenso bei der Kernkraft enthalten sind. Und dabei sind die kostspieligen Rückbaukosten und Atommüllentsorgungskosten, die über eine lange Zeit bestehen bleiben, wahrscheinlich nicht einmal vollständig berücksichtigt.
Infobox:
Die ehem. EEG-Umlage hat nebenbei bemerkt keinen Einfluss auf Erzeugungskosten, der ARD Faktencheck verwirrt hier leider mehr, als er informiert. Die Lukrativität bei Einspeisung des Stroms wird beeinflusst, nicht die Erzeugungskosten.
Schätzung der Erzeugungskosten ohne Subventionen nach Datenbank der KI: