Katastrophe EU Austritt
Teil 2 - Warum die Abkehr von EU und Euro katastrophenähnliche Ausmaße hätte
690 Milliarden Euro weniger Wirtschaftsleistung in fünf Jahren – so hoch wäre der Preis eines deutschen EU-Austritts. Ohne die EU und den Euro wäre die Bundesrepublik wirtschaftlich isoliert, politisch geschwächt und geopolitisch bedeutungslos. Schauen wir uns die Erklärungen dazu genauer an!
Hier geht es zu Teil 1.
Die Währungsunion: Ein Zins, ein Wechselkurs
Zunächst kurz zum Eurosystem: Die gemeinsame Währung ist mit einigen Schwierigkeiten und Herausforderungen verbunden. Eine einheitliche Geldpolitik, die unterschiedliche Inflationsraten und Konjunkturkennwerte der einzelnen Länder berücksichtigt, ist wahrscheinlich nicht ohne Nachteile sinnhaft umsetzbar. Die Zinsanpassungen wirken sehr unterschiedlich auf die einzelnen Länder, was die Sinnhaftigkeit in Frage stellen kann (Wirtschaftsdienst). Die Staatsfinanzierungen sind mit dem streng regulierten Eurosystem, was eng mit den Finanzmärkten verwoben ist, erheblich schwieriger (Staatsschulden: Von Mythen zu Fakten). Auch der Umstand, dass den Ländern die Souveränität einer eigenen Währung fehlt, kann in bestimmten Situationen nachteilig sein. So konnten sich die Länder vor der Währungsunion noch gegen wirtschaftsbedrohende Gegebenheiten so schützen, indem sie ihre Währungen ab- oder aufgewertet haben.
Als Beispiel ein äußerer Preisschock, mit der anschließenden Währungsaufwertung, um die Importpreise günstiger zu machen: Wenn die eigene Währung gegenüber einer anderen Währung an Wert gewinnt - 1 Euro war vorher 1,10 Dollar wert und ist nun 1,20 Dollar wert - werden Importe entsprechend billiger, wenn sie in Dollar bezahlt werden.
Oder auch eine Abwertung, wenn die Wettbewerbsfähigkeit der inländischen Wirtschaft bedroht ist: 1 Euro war vorher 1,10 Dollar wert, jetzt aber nur noch 1 Dollar - Importe werden zwar teurer, Exporte aber günstiger. Dadurch werden inländische Produkte im Ausland billiger und konkurrenzfähiger, was der eigenen Wirtschaft hilft, besonders wenn die heimische Industrie Schwierigkeiten hat.
Deutschlands Vorteile des Euros
Für unser Land gibt es einen expliziten Vorteil, denn Deutschland hat über die Jahre die Löhne weniger stark steigen lassen als andere EU-Staaten. Dadurch blieben die Produktionskosten niedriger, und deutsche Waren konnten günstiger angeboten werden. Das machte Deutschland im Euroraum wettbewerbsfähiger als Länder mit höheren Lohnkosten. Durch die Währungsunion bleibt dieser Vorteil bestehen, da die Staaten keine Möglichkeit haben, ihre Währung zum Schutz vor dieser Entwicklung abzuwerten. Die schlechte industrielle Entwicklung der anderen EU-Staaten im Zusammenhang mit den niedrigen deutschen Löhnen, kann übrigens in einen Zusammenhang gebracht werden (lpb). Dies ist aber nicht der einzige explizite Vorteil. Nehmen wir an wir würden wieder die deutsche Mark einführen:
Da Deutschland sehr viele Waren ins Ausland verkauft (hoher Exportanteil), gäbe es eine große Nachfrage nach der deutschen Mark. Je mehr ausländische Firmen oder Investoren deutsche Produkte kaufen, desto mehr deutsche Mark müssten sie tauschen und der Wechselkurs steigt deutlich an. Diese hohe Nachfrage würde die Währung also automatisch aufwerten – das heißt, ausländische Käufer müssten mehr für deutsche Produkte zahlen und dadurch wären deutsche Waren teurer und weniger wettbewerbsfähig. Im Euro-Raum passiert das nicht so stark, weil Deutschland die Währung mit vielen anderen Ländern teilt. Eine starke Aufwertung des Euros wird quasi durch wirtschaftlich schwächere Länder gedämpft, was Deutschlands Exporte günstiger hält.
Vorteile des Euros gibt es für alle Länder
So stellt man sich natürlich die Frage, weshalb es überhaupt eine Währungsunion gibt, wenn es nur wenige im System übermäßig zu bevorteilen scheint. Doch es gibt auch erhebliche Vorteile für die anderen Staaten, grade für schwächere und kleinere Länder innerhalb einer Währungsunion: Stabilität. Eine schwache Währung kann unter Kapitalflucht und Spekulationen leiden, was eine positive Entwicklung der Wirtschaft beeinträchtigt. Ein Beispiel dafür ist die Europäische Währungskrise von 1992, bei der Spekulationen und Kapitalabflüsse zum Zusammenbruch des Europäischen Währungssystems führten (bpb). Auch die Zinsentwicklung ist durch eine große, starke und stabile Währung günstiger für die Staaten. Was aber grade für den großen Wirtschaftsraum der EU der wichtigste Vorteil ist: Der Wegfall von Wechselkursrisiken. Das schafft für alle Unternehmen eine gewisse Planungssicherheit, wenn Profitmargen nicht durch plötzliche Wechselkursänderungen gefährdet werden können. Auch der Wettbewerb zwischen Unternehmen wird in einer Währungsunion positiver bewertet. Und die verstärkte Wirtschaftsdynamik und Wegfall von unproduktiven Transaktionskosten sind wachstumsfördernde Faktoren (Bundesfinanzministerium). Zu guter Letzt ist der Euro eine der wichtigsten Reservewährungen der Welt geworden. (EU)
Dexit: Katastrophe!
Es ist gewiss eine Art Treppenwitz, dass sich ausgerechnet in Deutschland mit der Frage eines EU-Austritts beschäftigt wird. Deutschland als größter Profiteur des Euros und der EU. Dennoch, betrachten wir einmal die Auswirkungen eines Dexits - positiv, wie negativ: Es wird sich gerne vorgestellt, dass die Vorteile des Bündnisses, insbesondere der Binnenmarkt ja beibehalten werden könnte. Mein Artikel hilft hoffentlich zu zeigen, wie naiv diese Überlegung ist, da nicht nur die Vorteile Deutschlands durch Neuverhandlung komplett in Frage gestellt wären, sondern auch die gemeinsame Regulierung, die der Binnenmarkt benötigt. Selbst wenn wir dies ignorieren: Ein Verhandlungsergebnis, das Deutschlands Marktvorteile sichert und die Nachteile anderer Länder beibehält, ohne Ausgleichszahlungen, wäre sehr unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist ein Ausgleich dieser Nachteile. Dazu die Komplexität: Anders als beim Brexit würde ein Dexit die EU in ihren Grundfesten erschüttern und ihre Weiterexistenz vor erhebliche Herausforderungen stellen. Bei weiteren Austritten anderer Staaten steigt die Komplexität der notwendigen Maßnahmen und Verhandlungen. Dabei hat der Vollzug des Brexits schon Jahre gedauert und das, obwohl nur ein einziges Land mit der EU verhandeln musste. Statt eines geordneten Übergangs könnte ein Flickenteppich bilateraler Abkommen entstehen, der Deutschland durch Zölle, Wettbewerbsnachteile und Rückschritt schadet. Das würde sich nicht nur auf die EU-Staaten beschränken, denn neue Handelsabkommen wären nun mit allen Handelspartnern Deutschlands notwendig. Diese könnten ebenso weniger bereit sein, vorteilhafte Abkommen abzuschließen, wenn sie keinen eigenen Nutzen darin sehen. Die starke Stimme der EU in Verhandlungen, von dessen Ergebnissen Deutschland profitiert, wäre zerschlagen und das kleine Deutschland müsste sich nun mühsam Gehör verschaffen, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Neue Wechselkursrisiken, Investitionsstopps der Unternehmen aufgrund der Unsicherheiten, Rückgang ausländischer Investitionen, fehlender Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt… Die Liste ist lang und kann gefühlt endlos fortgesetzt werden. Und es beschränkt sich auch nicht nur auf wirtschaftliche Themen. Geopolitische Unsicherheiten bei Aufgabe der Stärke unseres Bündnisses wären für die Interessen Deutschlands in den Bereichen Sicherheit, Verteidigung, Energieversorgung, sowie im Umgang mit globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Umweltschutz und Migration (ja, auch Migration) von erheblichem Nachteil. (IW, Interview Michael Hüther, Tagesschau, iwd)
Dexit: Segen?
So fragt man sich, weshalb überhaupt eine Debatte existiert, die einen Austritt aus der EU erwägt. Nun ja, der Austritt Deutschlands wäre für einige politische Bestrebungen die Voraussetzung für dessen gelingen. Aufgeben der Klimaschutzbestrebungen, Aufkündigung von Migrationsabkommen und Regulierungen, den Geldhahn für Gelder, die aus Deutschland rausfließen zuzudrehen… All das wäre mit einem Verbleib der EU nicht, oder nur bedingt machbar. Der sogenannte "Dexit" ist eine logische Verlängerung dieser politischen Bestrebungen und verkennt die Nachteile, die dieser Schritt mit sich bringt deutlich. Eine kluge Strategie und Zukunftsvision lässt bisher auf sich warten. Ein möglicher Grund wäre, dass es schwer bis unmöglich ist, eine solche glaubwürdig auszuformulieren. Aus Gründen.
"Ein Austritt aus der EU wäre für den Mittelstand und Deutschland insgesamt ein 'wirtschaftlicher Totalschaden'."
Christoph Ahlhaus, Bundesgeschäftsführer des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW)
"Ein EU-Austritt Deutschlands würde es für deutsche Unternehmen enorm erschweren und verteuern, in andere EU-Länder zu exportieren."
Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK)
"Ein sogenannter 'Dexit' würde hierzulande [...] eine schwere ökonomische Krise und einen nachhaltigen Wohlstandsverlust der Bevölkerung auslösen."
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
"Ein Austritt Deutschlands aus der EU wäre ein Desaster für die deutsche Wirtschaft."
Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK)
"Wir würden als Deutschland alleine in der Zukunft keine Rolle mehr spielen – ein düsteres Szenario für eine exportabhängige Wirtschaft."
Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI)
Infobox:
Hier noch ein paar (teils witzige) Dexit-Narrative:
"Deutschland zahlt drauf" → Deutschland profitiert massiv vom Binnenmarkt, und die Nettozahler-Debatte ignoriert Handelsüberschüsse und wirtschaftliche Vorteile, die viel mehr einbringen, als die Beiträge kosten.
"Der Euro schadet Deutschland" → Eine D-Mark-Rückkehr würde Deutschland durch eine extrem starke Währung exporttechnisch massiv schwächen. Die geldpolitischen Narrative der Inflation halten nicht stand. Dazu kommt sicher auch nochmal ein Artikel
"EU-Bürokratie hemmt uns" → Viele EU-Regulierungen fördern Effizienz und Standardisierung, was Unternehmen sogar entlastet. Der Ausstieg wäre ein bürokratischer Akt des sicheren Wahnsinns. Den Umstand der verbesserungswürdigen Bürokratie mit einem bürokratieschaffenden Dexit zu beantworten… Witzige Idee.
"Der Brexit zeigt, dass ein Austritt machbar ist" → Der Brexit hat Großbritannien wirtschaftlich geschwächt, das Wachstum eingebremst und neue Bürokratie für Unternehmen geschaffen (Der Umstand des besseren Wachstums im Vergleich zu Deutschland verkennt die sehr gut dokumentierten Schäden). Deutschland, als eng vernetzter Exportweltmeister, wäre von einem Dexit noch wesentlich stärker betroffen.
"Deutschland kann nach einem Dexit seine Grenzen endlich selbst kontrollieren" → Deutschland müsste nach einem EU-Austritt Grenzkontrollen zu allen Nachbarländern einführen, da die Mitgliedschaft im Schengen-Raum fraglich wäre. Das würde zu langen Wartezeiten, höheren Verwaltungskosten und wirtschaftlichen Schäden führen. Tatsächlich würde Deutschland ohne EU-Zusammenarbeit größere Schwierigkeiten haben, Migration zu steuern. Ohne das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) und das Dublin-Abkommen müsste Deutschland eigenständig Asylverfahren organisieren und Abschiebungen koordinieren. Da Rückführungen oft nur über EU-Abkommen funktionieren, könnte es schwieriger werden, abgelehnte Asylbewerber in ihre Herkunftsländer, Transitländer oder andere EU-Staaten zurückzuführen. Deutschland müsste neue bilaterale Rückführungsabkommen mit jedem einzelnen EU-Staat, Herkunftsländern, Transitländern und anderen Staaten verhandeln.
Quellen:
Europäisches Parlament, Europäische Kommission, Bundesfinanzministerium, Bundeszentrale für politische Bildung, Landeszentrale für politische Bildung BW, IW, IMK