Die Presseveranstaltung im Weißen Haus am Freitag endete in einer Shitshow. Bereits zwischen den ersten Schlagzeilen der Medien wurde ein geplantes, inszeniertes und orchestriertes Demütigen Selenskyjs in den Raum gestellt. Wie ich die Eskalation wahrgenommen habe und warum es in meinen Augen ein noch düsteres Bild zeichnen würde, falls es keine Inszenierung gab, lest ihr jetzt. Aber ein kleiner Hinweis: Dies ist ein Meinungsbeitrag.
Das Gespräch in Kürze
Etwa 40min wurde vor allem ein Narrativ bedient: Trump will als Dealmaker angesehen werden und das schaffen, was sonst keiner schaffte: Ein Friedensabkommen als neutraler Vermittler aushandeln. Dabei steht Trumps Erzählung stets neben der von Selenskyj und es existiert schon die ganze Zeit über eine Abweichung. Insgesamt ist das Interview von einem Entertainer-Trump geprägt, der ein eigenwilliges Bild der Realität zeichnet und von einem Selenskyj, der sichtlich Mühe hat, die Dinge so stehen zu lassen. Er hält sich größtenteils zurück, um keine offene Konfrontation zu provozieren, schafft es aber, an einigen Stellen höflich zu widersprechen.
Videoaufzeichnung der Presseveranstaltung
Ab 43:30 der Wendepunkt
Der Wendepunkt
Ein Journalist fragt Trump sinngemäß, ob er zu sehr auf Putins Seite stehe. Trump beantwortet die Frage, indem er seine neutrale Position als Bedingung für einen Deal darstellt.
Vance antwortete ergänzend auf die Frage des Journalisten mit einer Kritik an der Vorgängerregierung unter Biden. Seine Aussage folgt seinem Narrativ: Er stellt die Außenpolitik der Demokraten als gescheitert dar und hebt Trumps diplomatischen Ansatz als die nun erfolgversprechende Alternative hervor. Dabei reduziert er Bidens Politik auf Wirkungslosigkeit (Putins Invasion als Folge) und inszeniert Trump als Diplomaten. Dies fügt sich nahtlos in das polarisierte politische Klima in den USA ein, in dem viele politische Entscheidungen durch die parteipolitische Brille (Demokraten gegen Republikaner) betrachtet werden.
"(…) for four years, the United States of America, we had a president who stood up the press conferences and talked tough about Vladimir Putin, and then Putin invaded Ukraine (…) What makes America a good country is America engaging in diplomacy. That's what President Trump's doing."
Selenskyj fängt, nach der höflichen Frage, ob er darauf eingehen darf, mit der historischen Entwicklung des Ukraine-Krieges an, inklusive der Krim-Annexion 2014 – und einschließlich der Ereignisse während Trumps Amtszeit. Er legt dar, dass Diplomatie mit Putin in der Vergangenheit mehrfach gescheitert ist. Er unterstreicht, dass Russland wiederholt Abkommen gebrochen hat, weshalb diplomatische Verhandlungen mit Moskau nicht als realistische Lösung betrachtet werden können. Abschließend stellt er die Frage, welche Art von Diplomatie Vance genau meint. (Dies könnte aus Vance Sicht auch tonal als provokant aufgefasst worden sein)
"He killed our people and he didn't exchange prisoners. We signed the exchange of prisoners, but he didn't do it. What kind of diplomacy JD you are speaking about? What do you mean?"
Selenskyj entkräftet das Argument, dass allein Bidens Politik die Invasion nicht verhinderte, indem er zeigt, dass der Konflikt bereits während Trumps Amtszeit fortbestand – und dass auch Trump ihn nicht beenden konnte. Damit stellt er nicht nur Bidens angebliche Fehler infrage, sondern zieht auch Trump in die Verantwortung. Zusätzlich erklärt er, dass Diplomatie oft gescheitert ist, was Vance alternatives Politikangebot in Frage stellt. Dann fragt er Vance, welche Art von Diplomatie er meint.
Aus meiner Sicht hat Vance diese Einordnung aus genannten Gründen als Angriff auf die republikanische US-Regierung aufgefasst. Er spricht klar aus, dass er es respektlos findet und als Angriff auf die Administration ansieht. Später macht er nochmals deutlich, dass er Selenskyj auf Seiten der Opposition einordnet. (Wieder die Demokraten gegen die Republikaner im Vordergrund)
Transkript des Gespräches:
(Transkript aa) (Transkript AA)
Es gibt mehrere spekulative Erklärungsansätze für die Eskalation, zwei davon (die sich nicht gänzlich ausschließen) erscheinen besonders plausibel :
Selenskyjs Argumente gegen Diplomatie werden als nicht verhandlungsbereit (mit dem möglichen Wegen zum Waffenstillstand im Kontext) gewertet und ausgenutzt, um diese direkt anzugreifen. Da bereits vorab klar war, dass Selenskyjs Position schwer mit einem "Deal" vereinbar ist. Dies ist die Bauernopfer Theorie, die gut mit einer geplanten Zurechtweisung/Demütigung Selenskyjs zusammen passt.
Selenskyjs Darlegung der Diplomatie als gescheiterter Weg in der Vergangenheit greift direkt das Narrativ von J.D. Vance an, dazu mit einer provokanten Gegenfrage am Ende. Vance kontert aggressiv bereits mit der Argumentation, dass Selenskyj in einer schlechten Position ist (womit er den Weg der Diplomatie indirekt als logischen Ausweg präsentiert und somit die Argumentation Selenskyjs auch inhaltlich angreift) und lieber dankbar sein sollte, als die Administration anzugreifen. Trump braucht eine Weile, aber entscheidet sich anscheinend dafür, die Verhandlungen im Vorfelde als gescheitert anzusehen, weil die Konversation mit Vance bereits ein potentieller Dealbreaker darstellt.
Trumps kurze Pause – dann Eskalation
Nachdem Vance diese Tür geöffnet hat, lässt Trump einen Moment verstreichen, bevor er selbst eingreift. Diese kurze Verzögerung ist interessant: Trump scheint abzuwägen, bevor er (meines Empfindens bewusst) die Situation eskaliert. Er wechselt die Erzählung und beginnt, die Ukraine als schwach darzustellen. Damit verschiebt sich der Fokus vom Dealmaker-Narrativ zu einer skrupellosen Machtdemonstration.
Die zeitliche Abfolge spricht dafür, dass Trump den Moment als Wendepunkt wahrgenommen hat. Anstatt den „Deal“ weiterzuverfolgen, entschied er sich, die Ukraine als Bittsteller darzustellen und sich als dominante Figur zu inszenieren. Dies könnte entweder eine spontane Anpassung gewesen sein – oder eine bewusste Entscheidung, um die Machthierarchie klarzustellen und wieder das eigennützige Narrativ des starken Präsidenten für die Interessen Amerikas zu bespielen.
Was bringt diese Erkenntnis?
Während die Version des Bauernopfers eine skrupellose Strategie beschreibt, aber noch ein gewisses Kalkül unterstellt, beinhaltet die ungeplante Eskalation interessante Aspekte. Die Administration bewertet die Prioritäten nicht nur klar pro-amerikanisch um jeden Preis, sondern verfolgt auch eine strikt auf kurzfristige Eigeninteressen fokussierte Politik, die auf unmittelbare Machterhaltung abzielt, anstatt strategisch und diplomatisch auszubalancieren. Es lässt blicken, wie schonungslos ehrlich die stets klar ausgesprochene nationale Fokussierung ist, mit einer dennoch überraschenden Intensität. Auch gekränkte Egos und ein fast anfassbarer Narzissmus spielen eine sichtbare Rolle. Der teure Preis - die westliche Allianz, die beispiellose Diffamierung eines Verbündeten, das unsouveräne Auftreten und Scheitern - all das wird in Sekunden schmerzlos in Kauf genommen, um die eigenen Narrative für innenpolitische Zwecke zu verteidigen. Amerika hat schon immer souverän seine Interessen vertreten, aber diese Eskalation zeigt eine neue Qualität von "Interessen". Vollkommen unprofessionell werden Errungenschaften vor laufenden Kameras geopfert, nur um die eigene heroische Position unter scheinbar keinen Umständen zu gefährden. Auch bei existenziellen Prio 1 Themen wird nicht auf Vernunft gesetzt, wird nicht auf Höhe einer sachlichen Ebene agiert. Selbst wenn hinter den Kameras ein anderer Zungenschlag existiert, scheint die Maske vom Gesicht. Die Eskalation wirft ernsthafte Fragen zur Verlässlichkeit der US-Regierung als strategischer Partner auf – insbesondere hinsichtlich ihrer Berechenbarkeit und langfristigen außenpolitischen Strategie.
Danke für die aufschlussreiche Analyse. Sehr treffend zum Theme finde ich auch Jon Stewart: https://www.youtube.com/watch?v=OeUZI5RnYGg